Über das Singen des Introitus

In unseren Gottesdiensten gibt es viele Abschnitte und Stationen (liturgische Stücke), deren Bedeutung heute kaum noch jemand kennt. Meistens singen, sprechen oder beten wir aus Tradition mit, wissen manchmal aber vielleicht gar nicht mehr so genau, was der tiefere Sinn ist.

Eines dieser Stücke ist sicherlich der sogenannte Introitus, d.h. der Wechselgesang zwischen Gemeinde und Pfarrer bzw. Kirchenmusiker.

Er wird gleich nach dem Sündenbekenntnis im ersten Drittel des Gottesdienstes gesungen. Oft beobachte ich, dass sich nicht nur Konfirmanden mit dem Introitus schwer tun. Auch erfahrene Gemeindeglieder stellen manchmal die Frage, welchen Sinn dieser Wechselgesang hat – abgesehen davon, dass der Introitus auch noch schwierig zu singen ist.

Nun lebt unser christlicher Gottesdienst davon, dass wir Christen ihn bewusst mitfeiern können. Deshalb möchte ich Ihnen im Folgenden Wissenswertes zum Introitus weitergeben:

Der Name Introitus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „hineingehen“ bzw. „einziehen“ – und das in einem doppelten Sinn:

Als Gemeinde machen wir uns innerlich auf, Gott zu begegnen. Denn Gott lädt uns ein und ruft uns zu sich. Im Gottesdienst folgen wir seinem Ruf und machen uns innerlich auf den Weg.

Schon die Menschen zur Zeit des Alten Testaments vor über 2000 Jahren waren sich bewusst, dass es etwas ganz besonderes ist, an einem Gottesdienst teilzunehmen. Und dass es gut ist, sich innerlich darauf vorzubereiten in Gottes Gegenwart zu treten. Für diesen Einzug und zur Vorbereitung darauf wurden eigene Lieder geschrieben (ein Hinweis darauf findet sich z.B. in Ps 118,19).

Mit dem Singen des Introitus feiern wir aber vor allem, daß Gott selbst in den Gottesdienst einzieht. Er kommt uns entgegen. Er will uns helfen und in unseren Herzen einziehen. Ein Beispiel dafür findet sich passend z.B. in Ps 24,7 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe.

Weil Gott uns begegnen will und er im Mittelpunkt des Introitus steht, bringen wir am Ende jedes Introitus auch immer unseren Dank mit denselben Worten zum Ausdruck: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist wie im Anfang so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit, Amen.“

Schon im frühen Mittelalter ist der Brauch belegt, dass dieses „sich Aufmachen und Gott begegnen“ mit Psalmliedern aus dem Alten Testament gefeiert wurde. Martin Luther hat diesen Brauch im Rahmen der Reformation dann von der katholischen Kirche übernommen. Das ist der Grund, weshalb wir auch heute noch mit dem Introitus die uralten Psalmen und Lieder aus dem Alten Testament im Wechsel singen.

Gott will uns begegnen und wir sind gerufen, zu ihm zu kommen – diese Erfahrung verbindet uns mit den Menschen im Alten und Neuen Testament und vielen Generationen vor uns.

An diese Erfahrung will uns das gemeinsame Singen der Psalmen im Gottesdienst auch immer wieder heranführen. Diese Erfahrung selbst zu machen, dazu lade ich Sie herzlich ein – in der Hoffnung, in ihnen ein neues Gespür für den tieferen Sinn dieses liturgischen Stückes geweckt zu haben.

Ihr Pfr. Dr. Nentel

Auszug aus dem Gesangsbuch: Palm 23, Introitus